Günther Weist, Ziegelhausen 

Die Ziegelhäuser Brücken und ihre Geschichte 

In wenigen Jahren ist die Neckarbrücke zwischen Ziegelhausen und Schlierbach am Ende ihrer Belastbarkeit. Sie muss abgerissen und vollständig erneuert werden. Vor diesem Hintergrund ist es sicher interessant, die Geschichte unserer Brücken, aber auch der Flussübergänge am Unteren Neckar kennenzulernen.

Dabei wird oft übersehen, dass bereits kurz nach der Zeitenwende von den Römern im Zuge ihrer „Strata Montana“ (Bergstraße) eine Brücke über den „Nicer“ (damals für Neckar) gebaut wurde. Sie befand sich etwa in der Mitte zwischen Theodor-Heuss-Brücke und Ernst-Walz-Brücke. Eine Gedenktafel an der Neckarwiese erinnert daran. Nach Abzug der Römer und dem Verfall ihres gut ausgebauten Wegenetzes dauerte es bis weit in das 13. Jahrhundert hinein, als 1284 in Heidelberg eine Brücke gebaut wurde, die sich als ergiebige Geldquelle herausstellte. Nicht nur jedes Fuhrwerk, auch jeder Fußgänger musste bis 1877 einen Brückenzoll entrichten – nur die Mönche und Nonnen von Stift Neuburg konnten kostenlos passieren. Die beiden kleinen Gebäude auf der Neuenheimer Seite waren Zollhäuser und dienten als Stützpunkt für die Zöllner.

Die Ziegelhäuser Bevölkerung war also über viele Jahrhunderte beim Flussübergang auf Fähren/Nachen oder die kostenpflichtige Benutzung der Heidelberger Brücke angewiesen.

Das änderte sich ab 1850 allmählich aus mehreren Gründen. Es begann mit dem Bau der Bahnlinie von Heidelberg über Neckargemünd und dann quer durch den Kraichgau nach Mosbach. Diese „Badische Nordostbahn“ wurde 1862 in Betrieb genommen und nach langen Verhandlungen mit Hessen um die natürliche Trassenführung entlang des Neckars über Hirschhorn und Eberbach ebenfalls bis Neckarelz/Mosbach im Jahr 1879 ergänzt.

Daneben wuchs auch die Bevölkerung in Ziegelhausen stetig an und es gab sogar mehrere Industriebetriebe, z.B. die Gelatinefabrik von Heinrich Stoess an der Mündung des Bärenbachs und vor allem die Dampfziegelei Kühner. Ein imposanter Betrieb, der das gesamte Areal zwischen Neckar/KleingemünderStraße/Ausfahrt Ziegelhausen-Ost und Brahmsstraße einnahm. (Die ehemalige Fabrikantenvilla ist in Umrissen heute noch im Haus Kleingemünder Straße 56 erkennbar.)

Es liegt auf der Hand, dass diese Betriebe nachdrücklich auf den Bau der Brücke drängten, zumal die Reichsbahn den ersten bescheidenen Haltepunkt im Haus Schlierbacher Landstraße 168 aufgab und 1890 einen richtigen Bahnhof in Betrieb nahm, dabei in weiser Voraussicht eine für einen einfachen Durchgangsbahnhof recht große Güterhalle baute und sogar ein Abstellgleis anlegte, dessen Trasse in etwa dort verlief, wo sich heute der P+R Parkplatz hinter der Gutleuthof-Kapelle erstreckt.

Der Fährbetrieb über den Neckar war bis zum Bau der Brücke genauestens geregelt. Es gab eine detaillierte Gebührentabelle: eine Person 2 Pfennig, Handwagen 12 Pfg, 1 Kuh mit Mann 9 Pfg, Droschke leer 34 Pfg, mit 4 Personen 1 Mark. Für den Transport der Industrieprodukte waren die eingesetzten Fahrzeuge aber nicht geeignet, auch gab es längere Ausfälle durch Pannen, Hochwasser und Eisgang.

Aber schon damals verging bei öffentlichen Bauten lange Zeit von der Planung bis zur Ausführung. Die Verhandlungen zwischen Ziegelhausen, Heidelberg und dem Landkreis zogen sich über mehrere Jahre hin. Der Gemeinderat von Ziegelhausen hatte sogar eine eigene „Brückenbaukommission“ berufen, bestehend aus 9 honorigen Herren. (Einer davon war der Urgroßvater des Verfassers). Der Druck verstärkte sich abermals, als 1910 die Straßenbahn vom Karlstor nach Schlierbach mit der Linie 4 fertiggestellt war und in Betrieb ging.

Endlich war es dann soweit. Noch rechtzeitig vor Ausbruch des 1. Weltkriegs und fast zeitgleich mit der Verlängerung der Straßenbahn nach Neckargemünd (Linie 5) wurde die Brücke feierlich und unter großer Beteiligung der Bevölkerung eingeweiht. Am Samstag, den 21.3.1914 versammelte sich die Bürgerschaft beim Gasthaus „Steinbacher Tal“ zum Umzug in Richtung Brücke. Anschließend Zusammenkunft im Gasthaus „Neckartal“, das schon seit langer Zeit nicht mehr existiert. Am Sonntag, den 22.3.1914 dann nochmals Umzug, diesmal zur Stiftsmühle mit anschließendem Festbankett.

Diese Brücke war dem damaligen Verkehrsaufkommen entsprechend konzipiert und kann mit den heutigen Baunormen nicht verglichen werden. Eine Fahrbahn von 5,20 m Breite und ein Gehweg von 2,30 m Breite genügten. (Zum Vergleich: Das erste Auto in Ziegelhausen wurde 1907 von Heinrich Stoess, dem Inhaber der Gelatinefabrik gekauft.) Auch die statische Prüfung war denkbar einfach: Zur Belastungsprobe fuhren 2 Dampfwalzen hintereinander über die Brücke und wieder zurück. Als nichts passierte war die Prüfung bestanden! Eine Besonderheit muss erwähnt werden: Auf der Brücke waren Straßenbahngleise verlegt, die aber nie benutzt wurden. Man war davon ausgegangen, dass Heidelberg bzw. die HSB an einer Stichlinie nach Ziegelhausen (bis zum Gasthaus „Zum Lamm“) Interesse hätte. Doch der Kriegsausbruch verhinderte die Verwirklichung und danach fehlten die Finanzmittel.  Der manchmal erwähnte Bau von Oberleitungsmasten auf der Brücke lässt sich übrigens anhand der Fotos nicht belegen.

 

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Diese erste Brücke besaß fast auf den Tag genau nur eine Lebensdauer von 31 Jahren. Als am Gründonnerstag, den 29.3.1945 die amerikanische Panzerspitzen sich der alten Katholischen Kirche näherten wurde die vorbereitete Sprengung ausgelöst. Nicht nur die Nachbarhäuser wurden stark beschädigt, das ganze Dorf war in Mitleidenschaft gezogen worden. Unter fast jeder Brücke hängen Versorgungsleitungen, die ebenfalls zerstört wurden, so dass es keine Strom- und Gasversorgung gab. Auch die -wenigen- Telefonverbindungen waren unterbrochen. Außerdem mussten 2000 to Schutt aus dem Flussbett geholt werden, damit überhaupt wieder Schiffe fahren konnten.

Viel musste also improvisiert werden. Man baute hölzerne Masten direkt neben der Brücke auf, um eine Freileitung für Strom verlegen zu können. Später verlegte man die Leitung weiter nach Westen und sicherte sie durch eiserne Gittermasten. Diese Notmaßnahmen mussten für längere Zeit genügen; an einen Wiederaufbau war zunächst nicht zu denken – und das galt auch noch für die nächsten 9 Jahre. 

Die nach dem 2. Weltkrieg vielfach zerstörte Infrastruktur brachte einen Bau- und Investitionsbedarf mit sich, der nur schrittweise und nach Prioritäten geordnet, abgearbeitet werden konnte. Dieses Konzept war in sich schlüssig, brachte aber erhebliche Nachteile für Ziegelhausen mit sich.

Rasch war klar, dass die beiden Heidelberger Brücken Friedrichsbrücke, jetzt Theodor-Heuss-Brücke und Hindenburgbrücke, jetzt Ernst-Walz-Brücke angesichts ihrer großen Verkehrsbedeutung mit Straßenbahn- und OEG-Linien zuerst angegangen werden mussten. (Die Arbeiten zur Reparatur der Alten Brücke konnten bereits 1946 aufgenommen und dank einer hohen Spendenbereitschaft der Bevölkerung schon 1947 abgeschlossen werden.)

Flussaufwärts hat uns dann noch Neckargemünd den Rang abgelaufen, weil dort 2 Bundesstraßen (B 37 und B 45) gebündelt den n überqueren. So musste für 9 Jahre wieder ein Fährbetrieb organisiert werden,

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Dieses Mal gab es an 5(!) Stellen Überfahrten, angeboten und betrieben von 5 Familienbetrieben:

In Höhe der Gutleuthofkapelle, bei der Adlerüberfahrt, beim Jägerhaus und den beiden Gaststätten Stiftsmühle und Haarlass. Wiederum mit einfachen Booten im Handbetrieb und verbunden mit den Ausfällen bei Hochwasser und Eisgang.Der von den Amerikanern eingesetzte und kurzfristig amtierende Bürgermeister Otto Hug (ein Bruder meines Großvaters) kümmerte sich um die Anschaffung einer Motorfähre und wurde bei der Waggonfabrik Fuchs in Rohrbach fündig. (Eigentlich bekannt für die Produktion von Straßenbahnfahrzeugen; es verwundert deshalb nicht, dass die Fähre von einem Elektromotor der Straßenbahn angetrieben wurde.)

Mit einer Länge von 16 m und einer Tragfähigkeit von immerhin 32 Tonnen konnten nicht nur PKW sondern auch kleinere LKW befördert werden. Wer bei Ziegelhausen-Mitte heute auf das gegenüberliegende Ufer schaut, sieht eine massive, graue Betonmauer, an der die Fähre anlegte. Auch ein nach rechts führender, leicht ansteigender Weg ist zu erkennen, auf dem die Autos zur B 37 fahren konnten. Die Fußgänger nahmen eine steile Treppe hoch zur Straße und erreichten so die Haltestelle, die ca. 100 m weiter östlich wie heute lag. Auf unserer Seite war die Zufahrt über den Neckarweg wesentlich breiter, weil die westliche Mauer der Gartenwirtschaft „Zur Rose“ weiter zurückversetzt war.

Eine detaillierte Gebührentabelle ist leider nicht überliefert, das Archiv des Stadtteilvereins bewahrt aber eine abgelaufene Mehrfahrtenkarte auf: Danach kosteten 6 Überfahrten für eine Person 50 Pfennige.

Von kleineren Pannen abgesehen verrichtete die Fähre zuverlässig ihren Dienst bis 1954. Eine Anekdote, die mir mein Vater erzählte, soll aber doch geschildert werden: Bei dem schlimmen Hochwasser 1947 stieg der Neckarpegel so hoch, dass die Fähre über der Fahrbahn der Schlierbacher Landstraße schwamm. Leider hatte man vergessen eine Nachtwache aufzustellen, denn als das Hochwasser über Nacht schnell zurückging stand die Fähre oben auf der Straße im Trockenen. Dank der Hilfe der US Army, die 2 Autokräne bereitstellte, konnte die Fähre wieder in ihr Element zurückgehoben werden.

Aber dann war es 1953 endlich soweit. Die Planungen waren abgeschlossen und der Auftrag an die heute nicht mehr existierende, damals aber renommierte Baufirma Vatter aus Mannheim vergeben. Auch die Sorgen der Kreisnaturschutzstelle waren letztlich unbegründet: Die Erschütterungen und der Lärm der Vorbereitungsarbeiten hatte die in den Pfeilerruinen lebenden Fledermäuse so gestört, dass sie längst zum Heidelberger Schloss umgezogen waren.

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Bürgermeister Alex Rausch im Interview - originales Tondokument.  
Freundliche Überlassung durch das Radiomuseum Hardthausen a.K. , Herr Uwe Steinle.

Die neue Brücke wurde am 12. Dezember 1954 feierlich eröffnet. Bürgermeister Rausch und OB Neinhaus aus Heidelberg durchschnitten das Band, bevor das Volksfest begann. Am nächsten Tag wurde die Prominenz zu Kaffee und Kuchen in die Stiftsmühle eingeladen – mit dem ausdrücklichen Zusatz „mit den Damen“!

Eine Besonderheit soll noch erwähnt werden: Am Ziegelhäuser Brückenkopf wurde der aus Schlierbach kommende Verkehr durch einen Kreisverkehr verteilt. Auf einem runden Pflasterring war ein mit Blumen geschmücktes dreieckiges Hochbeet errichtet. Nach dem Bau der Umgehungsstraße war es das erklärte Ziel, den Durchgangsverkehr aus der Ortsmitte herauszuhalten. Die Umwidmung der Hauptstraße in einen verkehrsberuhigten Bereich und die Einrichtung einer Einbahnstraße brachte eine „abknickende Vorfahrt“ mit sich, die den Verkehr zur Ausfahrt Ziegelhausen-Ost lenkt.

Damit könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein. Aber da gab es ja noch den „Mohre Lui“ – ein Ziegelhäuser Unikum, wie es heute nicht mehr gibt. Noch viele Jahre betrieben sein Sohn und nach dessen tragischem Unfalltod er selbst mit einem kleinen Motorboot die Adler-Überfahrt. Warum dieses zusätzliche Angebot?

Die Brücke war gebaut, eingeweiht und dem Verkehr übergeben. Warum gab es dann noch viele Jahre die Motorbootüberfahrt der Familie Mohr beim Hotel Adler?Die Antwort auf diese in der letzten Ausgabe gestellte Frage ist so skurril und aus heutiger Sicht kaum verständlich, dass sie ausführlich beantwortet werden muss.

Die Betreiber des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hüteten und verteidigten ihren Zuständigkeitsbereich mit allen Mitteln. So hatte die Post für ihre gelben Busse die Konzession für die Strecke Neuenheimer-, Ziegelhäuser Landstraße, Neckarhelle, Peterstaler Straße und weiter Richtung Wilhelmsfeld. Die HSB mit den Straßenbahnlinien 4 und 5 befuhr die Schlierbacher Landstraße bis nach Neckargemünd. Als 1962 die Straßenbahn durch die blauen Busse ersetzt wurde, wollte die HSB gerne die Brücke für eine neue Buslinie nutzen. Erst nach zähen Verhandlungen gestattete dies die Post, allerdings nur unter der Bedingung, dass diese Linie sich auf den

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Wendeltreppe auf Ziegelhäuser Seite

östlichen Siedlungsrand beschränkt. Der Bus befuhr somit eine Schleife: Über die Brücke, dann rechts in die Heinrich-Stoess-Straße (jetzt Kleingemünder Straße), rechts in die Brahmsstraße (die Umgehungsstraße gab es noch nicht) bis zur Endhaltestelle vor dem Haus, in dem sich bis vor kurzem der Copyshop befand. Wer direkt zur Ortsmitte wollte, überquerte den Fluss bei der Adler-Überfahrt mit dem Boot und sparte sich den Umweg.Solange die Straßenbahn fuhr war der Fährbetrieb gut organisiert und wurde gern angenommen. Die Abfahrtszeiten an unserem Ufer waren den Fahrplänen der Linien 4 und 5 angepasst. Neben den Einzelfahrscheinen wurden Wochen-, Monats- und Zehnerkarten angeboten, mit Rabatt für Schüler. Auch gab es noch ein größeres Schiff, das für Rundfahrten gebucht werden konnte. Dann geschah ein schlimmes Unglück: Der Juniorchef Robert Mohr starb bei einem Verkehrsunfall auf der B 37 – darüber ist sein Vater („Mohre Lui“) nie hinweggekommen. Kurz darauf wurde der Betrieb dann eingestellt.

Zu welchen Absurditäten das strikte Festhalten an Konzessionsgebieten führte, zeigen zwei Beispiele:  Als die Brahmsstraße wegen Bauarbeiten aufgegraben war, fuhr der Bus langsam durch die damalige Hauptstraße bis zur Neckarschule, um dort zu wenden. Die Fahrgäste mussten aber schon bei der Katholischen Kirche aussteigen und durften den Bus zu Fuß begleiten! Aber in Absurdistan gibt es nichts, was noch absurder gesteigert werden kann. Der Verfasser erinnert sich, dass er in Schlierbach beim Bahnhof auf einen Bus nach Heidelberg wartete. Es kam auch ein Bus, hielt an und Fahrgäste stiegen aus. Ich durfte aber nicht einsteigen! Es war ein roter Bahnbus, der die Konzession ab Kleingemünd für die Strecke nach Neckarsteinach, Schönau und weiter in das Steinachtal hatte. Ab Neckargemünd durften keine Fahrgäste nach Heidelberg einsteigen.

Erst mit Gründung des Verkehrsverbunds hat dieser Unsinn aufgehört.

Aber zurück zum geplanten Neubau der dann dritten Brücke. Wie immer bei so großen Verkehrsprojekten gibt es phantasievolle Vorschläge, die sich schnell als unrealistisch herausstellen. Natürlich wäre es gut, wenn die Brücke in direkter Fortsetzung der Peterstaler Straße den Neckar überqueren könnte. Um dies aber hochwassersicher bauen zu können, müsste ab der Neckarschule eine Betonhochstraße nach Ludwigshafener Vorbild den Verkehr aufnehmen und den Ziegelhäuser Ortskern unter sich verschwinden lassen. Schon 1913 wussten die damaligen Planer, dass die Standorte der beiden Brückenköpfe bei den jeweils höchsten Punkten liegen mussten. Ein einfacher Selbstversuch mag dies beweisen: Wer mit dem Fahrrad von Schlierbach bei normalem Tempo über die Brücke nach Ziegelhausen fährt, kann ab Flussmitte aufhören zu treten. Das Gefälle reicht aus, um die Ortsmitte zu erreichen.

Hoffen wir alle, dass die Bauarbeiten rechtzeitig beginnen, es ein Provisorium für Fußgänger geben kann und die dann dritte Brücke eine friedliche und lange Zeit vor sich hat.