Der Brückenbau 1954
Arno Ehrhard
Der Bau der Neckarbrücke in Ziegelhausen
Abenteuerspielplatz meiner Kindheit
Knapp 70 Jahre nach dem Bau der Brücke zwischen den beiden heutigen Heidelberger Stadtteilen Ziegelhausen und Schlierbach wurde Alarm geschlagen. Alle paar Tage steht ein Artikel in der Zeitung über Brückenschäden, Maßnahmen (Brückenneubau) oder Anwohnerwünsche, oftmals ergänzt durch großformatige Fotos, damit der nicht ganz so kundige Leser eine Vorstellung erhält.
Zur Zeit der Errichtung verfügte ich als Kind über einen Logenplatz: direkt unter unserem Küchenfenster stand die Baubaracke im Neckartalhof, zu der jeden Morgen die beiden Ingenieure kamen. Der “olle" und der “dolle", wie das meine Schwester ausdrückte. Der „dolle" war natürlich der junge, er fuhr mit dem Motorrad an. Hier wurde das geplant und vor allem in die Praxis umgesetzt, was ich entstehen sah.
ln den ersten Monaten allerdings musste zuerst einmal abgerissen werden. Von den zwei noch intakten Brückenbögen überspannte der größere die Brahmsstraße. Zuerst beseitigte man den oberen Teil, der die Straße trug. Übrig blieb der aus Beton bestehende Bogen. Da man offenbar an den benachbarten Häusern zu große Schäden beim Einstürzen des gesamten Brückenteils befürchtete, fraßen über Wochen die Pressluftbohrer zwei Längsschlitze in den Bogen. Dann kam der große Augenblick: neben dem höchsten Punkt, dem Scheitel, errichtete man ein Gerüst, darauf stand ein Arbeiter mit seinem Presslufthammer und beseitigte die letzten Zentimeter des alles zusammenhaltenden Betons.
Auch der Einsturz nur dieses dritten Teils des Bogens ergab eine gewaltige Erschütterung. Bei den beiden anderen Bogenteilen machte man es sich einfacher: der Arbeiter stieg in den Greifer des Baggers und vollendete von dort seine Arbeit. Ich erinnere mich, dass wir auf dem Weg zum Gottesdienst an Heiligabend 1952 über die noch am Boden liegenden Reste klettern mussten.
Ganz anders ging es bei dem Rückbau der beiden Pfeiler im Neckar zu. Der auf der Schlierbacher Seite ragte nur wenige Zentimeter aus dem Wasser heraus. der Schiffsverkehr wurde durch eine Warntafel auf die Gefahr hingewiesen, der auf unserer Seite war nahezu komplett erhalten.
Hier begann man fast gleichzeitig mit dem Abbruch des oberen Teils und dem Bau einer Spundwand. Eine schwimmende Dampframme bewältigte diese Aufgabe. Als das Wasser aus dem Innenraum abgepumpt war, konnte man den Pfeiler bis auf den Grund abtragen. Unter der Bodenplatte befanden sich Eichenholzpfähle, die man vor dem Bau der ersten Brücke in den Untergrund getrieben hatte. Einen holte man heraus und fand ihn noch in Ordnung. Damit konnte der Wiederaufbau der Pfeiler beginnen.
Für den auf der Schlierbacher Seite wählte man ein anderes Verfahren ohne Spundwand. Man benutzte eiserne Senkkästen, in die man den flüssigen Beton füllte. Auf meine Nachfrage erfuhr ich: Beton bindet auch unter Wasser ab. In der Zwischenzeit hatte man auch die beiden Brückenköpfe und die beiden Pfeiler in der Brahmsstraße fertiggestellt.
Dann waren die Holzbauer gefragt. An mehreren Stellen im Neckar errichteten sie hölzerne Hilfspfeiler, die die Brückenverschalung und später die frisch betonierte Brücke tragen mussten. Allein schon dieser Bau stellte ein kleines Kunstwerk dar und ließ die endgültige Form erahnen.
Neugierige Buben
Für uns Buben aus der Brahmsstraße und der Umgebung konnte ich mir keinen schöneren Abenteuerspielplatz vorstellen. Am Abend oder am Wochenende, wenn die Arbeiter gegangen waren, gehörte die Baustelle uns. Absperrungen stellten kein Hindernis dar, da kletterten wir einfach drüber.
Und hatte einmal ein besorgter Beobachter die Polizei verständigt: ich erinnere mich an einen solchen Vorfall am großen Pfeiler, und Polizist Siebold stieg auf der Brahmsstraßenseite die Baustelle hoch, rutschten wir auf der Neckarseite das Gerüst hinunter. Anders war es bei Franz, einem alleinstehenden Mann. Er gehörte zur Firma und wohnte auf einem der am Ufer liegenden Lastkähne. Aber richtig Ärger mit ihm hatte es nicht gegeben. Mit ihm war die anonyme Firma als Person anwesend. Auch mit anderen Arbeitern wurden wir, weil sie über längere Zeit auf der Baustelle tätig waren, vertraut, führten Gespräche.
Ich erinnere mich an einen Schmied, der die stumpfen Meißel der Presslufthämmer wieder schärfte. Ihm schaute ich zu, wie er sie auf die Feldschmiede legte, rotglühend herausnahm und mit dem Hammer bearbeitete und dann noch einige Augenblicke mit der Zange festhielt, ehe er sie in einen Eimer mit kaltem Wasser fallen ließ. Warum warf er sie nicht gleich zum Abkühlen in den Eimer? Er erklärte es mir. Aber ich denke, dass ich es damals als Kind nicht verstanden hatte. Als ich älter war, ließ ich es mir von einem anderen nochmals erklären, dass er an der Farbveränderung die Temperatur und damit den Härtegrad des Eisens nach dem Abschrecken feststellen konnte.
Als die Schalung vollständig hergestellt war, begann eine Arbeit, zu der ich wieder viele Fragen hatte. Zuerst wurden zwei lange Blechkanäle verlegt, die auf der einen Neckarseite anfingen und bis zur anderen reichten. Sie sahen aus wie Dachrinnen, aber mit einem eckigen Querschnitt und viel höher. In diese Behälter wurden dann Stahlseile verlegt Ein Deckel aus Blech, ordentlich verlötet, schloss das ganze oben ab. Diese Kanäle würden später völlig vom Beton umgeben sein. Nun verstand ich, warum es Spannbeton heißt. Die Betonierarbeiten begannen.
Nur wenige größere Maschinen
Die Vorbereitungen für den eigentlichen Bau der Brücke konnte ich schon Wochen vorher beobachten. Am Neckarufer entlang wurden aus Bretterwänden Sand- und Kiesbunker errichtet, in denen man das Material nach Feinheit (feiner Sand bis grober Kies) lagerte. Ein Feldbahngleis verband die Materiallager mit der großen, direkt am Landhauptpfeiler stehenden Betonmaschine. An jedem Bunker befand sich etwa in Kopfhöhe eine Schütte, die ununterbrochen gefüllt und dann in die Lore ausgeleert werden konnte, damit keine Zeitverzögerung beim Beladen hingenommen werden musste. Den Nachschub holte man mit den kleinen Lastkähnen, die ca. 200 Tonnen Fracht trugen. Der Bagger stand seit den Arbeiten an den Pfeilern im Neckar sowieso auf einem Floß, er übernahm das Umladen. Es kommt mir aus heutiger Sicht schon außergewöhnlich vor: Bagger, Dampframme und Betonmischer waren die einzigen größeren Maschinen, die zum Bau verwendet wurden.
Da die Betonierarbeiten in die warme Jahreszeit fielen, musste der frische Beton vor zu schnellem Austrocknen und Abbinden geschützt werden. Dazu lagen von der einen bis zur anderen Neckarseite lückenlos Strohmatten, die ' mehrmals am Tag mit Wasser aus einem Tank besprengt wurden. Danach begann die letzte Bauphase mit dem Aufbringen des Asphalts auf der Straße und den Gehwegen, und die Geländer samt Laternen wurden montiert. Dann entfernte man die Holzverschalung und die hölzernen Hilfspfeiler. Den Bau der eleganten Wendeltreppe von der Brahmsstraße auf die Brücke erledigte man erst einige Zeit nach Fertigstellung der Brücke, die im Dezember 1954 offiziell eingeweiht wurde.
Die Konstruktion erfolgte nach dem Verkehrsaufkommen der damaligen Zeit. Die Brücke sollte in erster Linie der Anbindung Ziegelhausens an das Schienennetz von Bahn und Straßenbahn dienen, auch zum Austausch zwischen dem Dorf Ziegelhausen und dem Stadtteil Schlierbach, nicht aber regionalem und sogar überregionalem Verkehr. Besonders dem Schwerverkehr ist es wohl anzurechnen, dass die Brückenschäden in den letzten Jahren so stark zunahmen, dass keine Rettung für den Erhalt mehr besteht.
Arno Ehrhard veröffentlichte diesen Artikel in "Unser Land - Heimatkalender 2023"