Alte Sitten und Gebräuche
[R. Hoppe - 750 Jahre Ziegelhausen]
Gar mannigfaltig sind die Sitten und Gebräuche, die den ganzen Jahresablauf begleiten.
Das neue Jahr wird mit Glockenkäufen, Abbrennen von Feuerwerkskörpern und einer großen Schießerei begrüßt. Dabei rufen sich die Bewohner gegenseitig Proscht Neijoor!" zu. Da das Schießen oftmals schon übertrieben wurde, war die Obrigkeit darauf bedacht, den Brauch einzuschränken. So wurde in den Heidelberger Wochenblättern" von 1836 verordnet: Das Schießen in der Neujahrsnacht wird bei 5 Gulden Geld- oder gleichgeltender Gefängnisstrafe verboten."
Dann beginnen gar viele Fasnachtsveranstaltungen, Kappenabende und Maskenbälle den Reigen der Feste. An Fasnacht verkleiden sich die Kinder, sie ,,butzeln" sich ein. Zwar werden jetzt Masken aller Art getragen, beliebt ist aber oft noch die ,,Schlumpel". Dabei verkleiden sich zwei junge Leute als Alter" und ,,Alte" und ziehen mit einem Kinderwagen unter dem Hallo der Jugend durch die Straßen. Bekannt ist auch noch, daß Kinder scharenweise von Haus zu Haus gehen. Sie heischen ,,Faseküchle" mit ihrem Gesang:
Fasenacht,
Die Panne kracht.
Die Kiechle sin gebacke, hab‘se höre krache.
Aldi, schmeiß mer Kiechle raus,
Oder i schmeiß der e Loch ins Haus.
Zucker druff, Zucker druff,
Oder i hüpf der‘s Fenschter nuff!
Ursprünglich nicht bodenständig ist der Sommertagszug. Seit 1912 wird er nach dem Vorbild des Heidelberger Zuges abgehalten. Mit einem Sommertagsstecken in riesigem Ausmaße und den Sinnbildern der Hauptjahreszeiten, dem tannengeschmückten grünen ,,Sommer" und dem strohbedeckten ,,Winter" wird der Zug angeführt. Im Zug marschiert eine Musikkapelle, um den Gesang von Frühlingsliedern zu begleiten. Als eigentliches Sommertagslied wird gesungen:
Summerdag, Staab aus,
Blos em Winter die Aage aus.
Here Schlissel klinge,
Wolle uns was bringe.
Was dann?
Rode Wein un Brezel nei.
Was noch dazu?
Paar neie Schuh.
Strih, strah, stroh,
der Summerdag is do.
Heit iwwers Johr
Do simmer widder do.
O, du alter Stockfisch,
Wemmer kummt, do hoscht nix
Als e Schipp voll Kohle,
Der Guggug soll dich hole.
Strih, strah, stroh, Der Summerdag is do.

Die Sommertagsstecken für die Ziegelhäuser Jugend wurden meist in Heimarbeit hergestellt. Im Haselried, dem Grenztal gegen Kleingemünd, holten die Männer die Haselgerten für die Stecken. Zu Hause schnitten die Frauen das farbige Glanzpapier in Schlingen. Bei der Fertigstellung, dem Umwickeln und Ankleben, half dann die ganze Familie mit.
Bei den Katholiken werden an Palmsonntag Weidenkätzchen kirchlich geweiht. Danach steckt man sie in der guten Stube hinter den Spiegel oder ein Bild, wo sie als Blitzschutz gelten. Zu Ostern war es bis zum Zweiten Weltkrieg der Brauch, daß die Kinder aus halbkreisförmig gebogenen Haselgerten ihre Hasennester bauten. Sie waren mit Moos ausgepolstert und mit Moosplatten bedeckt.
Von der katholischen Kirchengemeinde wird an Himmelfahrt seit alters her ein Flurgang gemacht. Früher führte er zu den Feldern auf dem Büchsenacker, heute jedoch nur kurz zum Hahnberg. Kräuterweihe an Maria Himmelfahrt, dem 15. August, ist wie die Palmweihe und der Flurgang ein rein auf den katholischen Volksteil beschränkter Brauch. Das geweihte Wurzbüschel, das jetzt aus Blumen beliebiger Art besteht, wird im Hause, meistens am Kruzifix aufgehängt und gilt wie die Palmzweige ebenfalls als blitz- und unheilabwehrend.
Das Hauptfest des ganzen Jahres war die ,,Kerwe", die nach Laurentius (10. August) am dritten Sonntag im August und im Ortsteil Peterstal am Sonntag nach Peter und Paul (29. Juni) gefeiert wurde. Am Vorabend wird eine von den jungen Burschen hergerichtete Puppe, die ,,Kerweliesel", von außerhalb, meist vom Bahnhof abgeholt. Tage vorher wird schon gebacken oder Kuchen und Torten vom Bäcker besorgt, um die Kirchweihgäste bewirten zu können. Sonntags ist der Hauptfesttag, wo auf dem Sportplatz im Dorf Vergnügungsstätten und Schaubuden aufgeschlagen sind. Montags ist ebenfalls Feiertag und am Dienstag abend wird die ,,Kerweschlumpel" begraben. Nach einer Leichenrede erfolgt das Verbrennen. Mitunter werden die Überreste auch in den Neckar geworfen. Vor dem Krieg blieb einmal die Puppe am Stauwehr in Heidelberg hängen, wo sie als vermeintliche Leiche eines Ertrunkenen geborgen wurde.
1949 wurde in Heidelberg ein Brauch aus dem Rheinland neu eingeführt, der Martinszug. Er wurde von der Jugend begeistert aufgenommen und auch in Ziegelhausen übernommen. Am Sonntag Martini bewegt sich der Zug der Kinder mit ihren vielfach selbst gebastelten Laternen durch die verdunkelte Straße im Steinbachtal. Dabei singen sie:
Laterne, Laterne, Sonne,
Mond und Sterne.
Brenne auf mein Licht,
aber nur meine liebe Laterne nicht!
Nach Beendigung des Zuges erhält jedes Kind ein gebackenes Martinsmännle".
Mit Beginn der Adventszeit erhalten die Straßen und Geschäfte weihnachtlichen Charakter. über die Straßen werden Girlanden mit Lichterketten gespannt und die Auslagen mit Tannenzweigen geschmückt. Auch die Wohnungen werden weihnachtlich geschmückt und Adventskränze aufgehängt, an denen mit jedem Adventssonntag eine weitere Kerze angezündet wird. Nun folgen die winterlichen Feste. Zunächst der Nikolaustag. Am 5. Dezember ist der ,,Klein'e Belzenickel", an dem sich die Jugend einbutzelt" und mit Heischeliedern von Laden zu Laden oder Haus zu Haus zieht Die gebräuchlichsten Verse sind
Bin en armer Sinder, hab 99 Kinder,
Wenn ich haamkumm, hab net viel,
Dann krieg ich mit dem Besesfiel.
Bin en armer Schweizer,
Geb mer doch en Kreizer,
Geb mer doch en Grosche,
Dann halt ich aa mei Gosche.
Bin en armer Handwerksborscht, ·
Geb mer doch e Lewerworscht,
Geb mer doch e Serwela, .
Dann reis ich noch Amerika.

Sie haben Säcke mit Watteflöckchen über den Kopf gehängt und mit einer Schnur oder einer Kette um den Leib gebunden. Ein langer Bart von Watte oder Werg oder heute auch ein Maskengesicht macht sie unkenntlich. Dazu kommt noch eine Rute und ein Säcklein für die erbettelten Gaben. Am 6. Dezember ist ,,Großer Belzenickel". Da verkleiden sich die Erwachsenen ' und gehen mit einer Kette klirrend und stolpernd zu bekannten Familien, wo die Kinder ihre Gebete und Sprüchlein aufsagen müssen und ihr Sündenregister vorgegehalten bekommen. Am Morgen dieses Tages singen sie:
Heit Owend kummt der Belzenickel, ,
Awer net zu mir.
Ich pack en an der Zippelkapp
Un schmeiß en wedder die Tür.
Am Christbaum ist hier die Veränderung eines Volksbrauches anschaulich zu erkennen. Noch bis in dieses Jahrhundert hinein wurde der .Zuckerbaam" in einfacher Weise geschmückt. Einige Nüsse, die in Silberpapier gewickelt waren, rote Weihnachtsäpfelchen, ein paar ,,Glocken", worunter die runden Glaskugeln verstanden wurden, Weihnachtsgutsel, .“Schnitz" von getrockneten Birnen und Heiligenbilder waren der Schmuck des Baumes. Die weißen Wachskerzen wurden , mit Wollfäden an die Zweige gebunden oder durch aufgetropftes Wachs festgeklebt. Der Baum wurde in ein Gärtchen gesteckt, in das Krippenfiguren und Schäflein gestellt wurden, die aus Lehm selbst verfertigt waren und mit Kreide weiß gefärbt wurden. Am Morgen des Beschertages wünschen sich die Kleinen das Christkind mit folgendem Sprüchlein herbei:
Christkindel Kumm in unser Haus,
Leer dei goldenes Säckele aus,
Stell de Chrischtbaam uf de Disch,
Daß ma sieht, daß Weihnachte is,
Stell de Esel unner de Disch,
Daß er Hei un Hawer frißt,
Hei un Hawer frißt er net,
Zuckerbrezle kriegt er net.
Ein alter Brauch am Bescherabend, dem 24. Dezember, das Ziegelhäuser Christkindel" wird kaum noch ausgeübt. Bei den eingesessenen Familien erschienen dann zwei Gestalten, das Christkindel und der Belzenickel. Das Christkindel, das meist durch ein befreundetes Mädchen dargestellt wurde, war vollständig weiß gekleidet und hatte sein Gesicht mit einem Schleier verhängt. ln der Hand trug es ein Glöckchen. Zu den Kindern sprach es mit hoher Stimme und ließ ihnen von seinem Begleiter, dem Belzenickel, die Gaben reichen, die ihnen beim Eintritt in das Haus schnell zugesteckt wurden. Der Belzenickel las ihnen dannn aus seinem dicken Buch ihre bösen Taten und Unarten vor, wobei er sie mit der Rute strich.
Wenn Weihnachten hauptsächlich im Kreise der Familie gefeiert wird, so lassen sich es die Vereine nicht nehmen, eine Weihnachtsfeier zu gestalten. Auch die Gemeindeverwaltung stellt an verschiedenen Stellen Christbäume auf.